Mutter Teresa — das Unheilige einer Heiligsprechung
Am 4. September 2016 soll Mutter Teresa heiliggesprochen werden.
Heiligsprechung ist eine Idee des katholischen Glaubens. Sie kann für wahr gehalten werden oder auch nicht. Jedenfalls äußert sich in ihr eine existenzielle Sehnsucht des Menschen. Und sie ist es auch, die dazu führt, dass sogar die Tagesschau von dieser Entscheidung berichtet. Es äußert sich darin der Traum vom wirklich guten Menschsein.
Wir wissen alle — zumindest, wenn wir in einer stillen Stunde ehrlich zu uns sind — dass wir oft hinter unseren eigenen Ansprüchen herhinken. Wir wissen, dass wir längst nicht so gut sind, wie wir eigentlich sein wollen. Damit sind nicht die Erfolge gemeint, nicht der narzisstische Anspruch. Vielmehr geht es um unser wirkliches Gutsein.
Die Ironie, die hinter dem Begriff “Gutmensch” steckt ist mit dieser Einsicht zweigesichtig. Zum einen wissen wir, dass alle Anstrengungen nicht dazu führen, ein wirklicher Gutmensch zu sein. Daher trifft die, die so tun, als seien sie besser als andere (mit recht) unsere Skepsis. Zum anderen aber steckt in der Abwertung dieses Begriffs sicher auch ein wenig die Enttäuschung über die eigene Unvollkommenheit.
Eine Heiligsprechung — zumal einer so bekannten Person wie Mutter Teresa — ist jedoch frei von dieser Ironie. Hier äußert sich die unverstellte Sehnsucht, dass es wenigstens ein paar Menschen auf dieser Welt gibt, die wirklich so gut sind, wie wir es uns wünschen. In diesem Sinn ist die Praxis der Heiligsprechung auch für einen Protestanten wie mich sehr gut zu verstehen.
Es gibt aber einen deutlichen Schatten bei diesem Tun. Denn er mystifiziert das Leben eines Menschen.
Mag sein, dass Mutter Teresa wirklich Großes geleistet hat. Aber dennoch war sie kein besserer Mensch als wir alle anderen auch. Ihre Seele hatte dunkle Seiten, sie wird Nöte gekannt und sich auch an vielen Menschen schuldig gemacht haben. Das ist einfach so.
Indem wir andere Menschen verklären, werden wir ihnen nicht nur nicht gerecht, wir missbrauchen sie für unsere Vorstellungen und Sehnsüchte. Das geschieht — zugegeben — nicht nur bei den Heiligen. Es wird mit vielen Stars und Prominenten gemacht. Der Unterschied ist, dass sich die gestorbenen Heiligen nicht mehr wehren können — und sei es, indem sie sich mal gar nicht so heilig verhalten.
Das Buch »Ist Gott noch zu retten?« beschreibt die zentrale Botschaft des Christentums: Es gibt keine heiligen Menschen, es gibt keine heilige Welt.
Matthias Stiehler
Ist Gott noch zu retten?
Woran wir glauben können
Verlag tredition Hamburg 2016