Dr. Matthias Stiehler

Das Religiöse im Fußball

Nach dem DFB-Pokal-Halb­fi­nal­spiel von Bay­ern Mün­chen gegen Wer­der Bre­men am 19. April 2016 (2 : 0) wur­de der Bay­ern­spie­ler Tho­mas Mül­ler nach der beson­de­ren Schwie­rig­keit die­ses Spiels gefragt, denn immer­hin spiel­te hier der Bun­des­li­ga­spit­zen­rei­ter gegen einen Abstiegs­kan­di­da­ten. Mül­ler ant­wor­te­te, dass das Pro­blem sol­cher Spie­le immer sei, dass alle selbst­ver­ständ­lich von einem Sieg der Bay­ern aus­ge­hen. Man kön­ne also nicht “ver­lie­ren oder gewin­nen”, son­dern ledig­lich “ver­lie­ren oder nicht ver­lie­ren”. Es sei schwer, sich auf sol­che Spie­le einzustellen.

Mül­ler beschreibt damit die emo­tio­na­le Situa­ti­on vie­ler Spie­ler und auch Fans, wenn sie zu einer über­le­ge­nen Mann­schaft gehö­ren. Es fehlt ihr etwas vom “Geist”, der das Fuß­ball­spie­len, aber auch das Fan­sein aus­macht. Zwar geht es jedem Spie­ler und jedem Fan immer um Sie­ge und um die Hoff­nung, Meis­ter zu wer­den. Aber der “hei­li­ge Schau­er” des Fuß­balls ist nur dann erfahr­bar, wenn sich genau die­se Hoff­nung nicht bzw. nicht dau­er­haft erfüllt. Zwar kön­nen Erfol­ge zum Ver­ein gehö­ren, aber sie müs­sen sin­gu­lär blei­ben. Am bes­ten ist es, wenn sie aus einer eigent­li­chen Unter­le­gen­heit her­aus geschehen.

Die Fas­zi­na­ti­on und die Kraft des Fuß­balls besteht dem­nach dar­in, dass sich die Ver­hei­ßung des Sie­ges nur punk­tu­ell erfüllt. Der Schmerz der Nie­der­la­gen, das immer wie­der­keh­ren­de Schei­tern der Hoff­nung macht die ein­zel­nen Sie­ge um so wert­vol­ler. Die Hym­ne “You’ll never walk allo­ne” drückt den Wil­len, das Schick­sal des Ver­eins gemein­sam zu tra­gen, in emo­tio­na­ler Wei­se aus. Und das macht nur Sinn, wenn auch Nie­der­la­gen und Ent­täu­schun­gen ein­ge­schlos­sen sind – ja es braucht gera­de das Emp­fin­den, dass die Ent­täu­schun­gen nor­mal sind. Ein Ver­ein, der so über­le­gen ist, dass das Gewin­nen nor­mal ist, fas­zi­niert natür­lich auch. Aber die­se Fas­zi­na­ti­on geht nicht so tief, weil sie nicht durch die Erschüt­te­run­gen der Nie­der­la­gen auf­ge­la­den ist.

All das hat nichts im eigent­li­chen Sinn mit Reli­gi­on oder Reli­gio­si­tät zu tun. Aber es zeigt, dass ein Leben, das vor allem siegt, ober­fläch­lich wird. Das Mas­sen­phä­no­men Fuß­ball macht dies sehr schön und nach­voll­zieh­bar deut­lich: Erst der Schmerz der Uner­füll­bar­keit unse­rer Sehn­süch­te eröff­net die Tie­fe des Lebens. Wenn wir erken­nen, dass es kein rund­her­um glück­li­ches Leben gibt und dass wir nie so satt sein wer­den, dass unse­re See­len ihren Hun­ger und ihren Schmerz ver­lie­ren, gewin­nen wir – ech­tes Leben. Das ist dann nicht ein­fach “gut” und hat auch nichts mit den Ver­trös­tun­gen zu tun, die uns all­zu oft in den Got­tes­diens­ten begeg­nen. Es ist ein Leben, das in der Aner­kennt­nis des Schei­terns und der Nie­der­la­gen zu sich selbst findet.

Im Buch »Ist Gott noch zu ret­ten?« steht:
“Gott zu begeg­nen, heißt, die Tie­fe des Lebens zu erfas­sen. Die Illu­sio­nen wer­den ent­larvt, der fal­sche Schein, der unser Leben oft bestimmt, löst sich auf. Das gleich­gül­ti­ge Vor-sich-hin-Leben wird eben­so über­wun­den wie die end­lo­sen Hoff­nun­gen, es wür­de sich doch noch irgend­et­was erfül­len, was Erlö­sung bringt — egal ob im Dies- oder im Jen­seits. Die Erlö­sung des christ­li­chen Glau­bens ist dem­ge­gen­über die Erkennt­nis, dass es kei­ne Erlö­sung gibt. Die Erleuch­tung des christ­li­chen Glau­bens ist, dass es kei­ne Erleuch­tung gibt. Das ist der Schmerz, der uns beim Blick in die Tie­fe des Lebens begeg­net. Und es ist zugleich ein Halt, den wir dabei gewin­nen und der uns die Gewiss­heit ech­ten Lebens gibt. Erst die­se Art von Erlö­sung, erst die­se Erleuch­tung ermög­licht gelun­ge­nes Leben.” (S. 128f.)

Lesen Sie mehr über das The­ma “Fuß­ball und Religiosität”.

Mat­thi­as Stieh­ler
Ist Gott noch zu ret­ten?
Wor­an wir glau­ben können

Ver­lag tre­di­ti­on Ham­burg 2016

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