Pränataldiagnostik
Wenn Entscheidungen die menschliche Seele überfordern
Ich sah im TV mal wieder eine Diskussion über Pränataldiagnostik. Gemeint ist damit die gezielte Suche nach Entwicklungsstörungen und Gendefekten des Ungeborenen. Die Konsequenzen solcher Untersuchungen können sein, dass die Eltern beruhigt sind, weil die Ergebnisse in Ordnung sind. In seltenen Fällen können auch vorgeburtliche Therapien erfolgen. Manchmal aber stehen die Eltern noch vor der Geburt des Kindes vor der Frage, ob sie es sich zutrauen, mit einem behinderten oder kranken Kind zu leben.
Schwierig ist zum einen, dass manche Ergebnisse nicht eindeutig sind. Aber hier können wir sicher darauf vertrauen, dass sich die diagnostischen Möglichkeiten verbessern werden. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass die Entscheidung, vor der die Eltern manchmal stehen, unmenschlich ist. Entscheiden Sie sich für das Kind trotz der aufgezeigten Gefahr einer Schädigung, könnten sie dies in Zeiten massiver Überforderung immer einmal wieder bereuen. Es war ja kein unabwendbares Schicksal, das sie nun ertragen müssen. Wer kann für sich garantieren, dass neben der Liebe zum Kind nicht auch Hass aufkommt?
Auf der anderen Seite ist ein Schwangerschaftsabbruch immer eine Tötung eines potenziellen Menschen und damit auch nicht so locker zu verarbeiten, wie es uns unsere moderne Gesellschaft oftmals vormacht. Auch hier könnten sich die Eltern immer mal wieder fragen, ob es wirklich die richtige Entscheidung war.
Es geht bei solchen Fragen nicht um Lappalien. Es sind im wörtlichen Sinn existenzielle Entscheidungen, die den Eltern abverlangt werden. Und auch wenn sich vielleicht manche weniger Gedanken als andere machen, kann ich es dennoch grundsätzlich nicht als gut ansehen, dass Eltern überhaupt vor solche Entscheidungen gestellt werden.
Ich weiß natürlich, dass sich diese Tür nicht mehr schließen lässt. Dennoch muss es aber auch erlaubt sein, den Irrsinn, in den wir uns mit unserer wissenschaftlich-technischen Entwicklung “für das Wohl der Menschen” einbrocken, zu kritisieren. Auf jeden Fall sollten wir nicht glauben, dass wir uns nicht neue, manchmal gewaltigere Probleme einhandeln, wenn wir versuchen, eine problemfreiere Welt zu schaffen.
Matthias Stiehler
Ist Gott noch zu retten?
Woran wir glauben können
Verlag tredition Hamburg 2016