Dr. Matthias Stiehler

Verschörungstheorien

Ver­schwö­rungs­theo­rien sind häu­fig ein The­ma in den Medi­en. Zumeist aber wer­den sie nur im poli­ti­schen Bereich gese­hen. Dort erzeu­gen sie immer wie­der Auf­merk­sam­keit. Man den­ke nur an die sog. “Reichs­bür­ger”.

Dabei sind Ver­schwö­rungs­theo­rien sehr viel ver­brei­te­ter und gehö­ren zum All­tag vie­ler Men­schen. Am häu­figs­ten sind sie ver­mut­lich in Part­ner­schaf­ten zu fin­den. Bei einem zer­strit­te­nen Paar gehen bei­de sehr oft davon aus, dass der ande­re die­ses oder jenes absicht­lich getan hat, um Zwie­tracht zu säen und dem Part­ner bewusst zu scha­den. Das wird nur nicht als Ver­schwö­rungs­theo­rie ange­se­hen. Dabei erfüllt es die wesent­li­chen Merkmale.

Ver­schwö­rungs­theo­rien gehen davon aus, dass ein ande­rer Mensch, eine Grup­pe von Men­schen oder eine Orga­ni­sa­ti­on heim­lich nach einem Plan vor­geht, der dazu ange­legt ist, einem oder meh­re­ren ande­ren Men­schen zu scha­den. Es wer­den Indi­zi­en gesam­melt, die die Ver­schwö­rungs­theo­rie stüt­zen. Ande­re Indi­zi­en oder gar Bewei­se wer­den igno­riert und geleugnet.

Legen wir ein­mal die “Ver­schwö­rungs­theo­rie” bei­sei­te, dass Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker ihre Vor­stel­lun­gen bewusst mani­pu­lie­ren, also selbst ver­schwö­re­risch tätig sind, dann ist der trif­ti­ge Grund , war­um es so vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien gibt: Die simp­le Wahr­heit ist viel schlim­mer zu ertra­gen. Dass unse­re Welt und manch­mal auch — ganz indi­vi­du­ell — unser Leben aus den Fugen gerät, dass so viel Unrecht geschieht und dass wir uns dem allen nicht ent­zie­hen kön­nen, sind Tat­sa­chen, die furcht­bar genug sind. Dass dies alles ein­fach so geschieht, ohne dass dahin­ter ein Plan steht, macht es noch viel uner­träg­li­cher. Wenn man doch wenigs­tens “den Part­ner”, “den poli­ti­schen Geg­ner”, “die da oben” ver­ant­wort­lich machen könn­te. Wenigs­tens wäre man dann selbst ein Opfer und nicht auch Mittäter.

Unlängst hör­te ich das schö­ne, berüh­ren­de Lied von Wen­zel “AHOI! AHOI!”:


Ich wär ger­ne heut nicht hier
son­dern sehr weit fort — mit­nich­ten!
Lie­ber stän­dig an der Pier
als hier mit­ten in den Pflich­ten.



AHOI, AHOI, das geht vor­bei.
Sie krie­gen uns doch alle.
AHOI, AHOI, wir sind so frei.
Wir sit­zen in der Fal­le.”
(entom­men aus: www.golyr.de/wenzel/songtext-ahoi-ahoi-1981423.html)

Selbst in solch einem bit­ter­schö­nen Lied schleicht sich still und heim­lich über das “sie” eine Ver­schwö­rungs­theo­rie ein. Ver­mut­lich ist die Rea­li­tät zu schmerz­haft, wenn man erkennt, dass es eben nicht “die da” gibt, son­dern nur “wir alle”, die unser Leben so beschwer­lich und unse­re Welt so kaputt machen.

Mat­thi­as Stieh­ler
Ist Gott noch zu ret­ten?
Wor­an wir glau­ben können

Ver­lag tre­di­ti­on Ham­burg 2016

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